II.

Abfahrt von Bodö Donnerstag Mittag 11 Uhr, Ankunft in Feicidet 3 1⁄2 Uhr, bereits dunkel, da dort oben jetzt keine Sonne ist und nur von 10-12 es etwas hell wird. Familie Knudsen spricht gut deutsch, alle andern sehr gebrochen deutsch und etwas englisch. In Fineidat dachte ich Finis-Fineidet-beendet, aber es hieß anders: „das gute Ende kommt erst“. Eine Fahrt wie die Folgende habe ich noch nie gemacht und wünsche ich nie mehr zu machen.


Als wir vom Schiff kamen, wir in Überzieher1, die Norweger in Pelze, fegte ein eisig kalter Wind und peitschte uns Eis und Schnee vom Meer her ins Gesicht. Am Strande 6 kleine, niedrige, natürlich offene Schlitten, je mit einem kleinen dickköpfigen Pferdchen gespannt; jeder erhielt 2 Pelzstiefel, bei den Damen bis ans Knie, bei den Herrn bis zum Oberschenkel, dann jeder einen sehr dicken Wolfs- oder Bärenpelz, Kopftücher, Schals , Pelzmützen ctr. ctr., wir sahen aus wie die Nordpolfahrer!


Je 2 Personen im Schlitten, hinterher Gepäck, ab ging die Fahrt in die dunkle Schneelandschaft, aber prächtig erleuchtet durch einen klaren Sternenhimmel, der nur manchmal durch Schnee und Wetterwolken verdunkelt wurde. Wir fuhren fast immer im Thal über das gefrorene Eis, 30 Grad Kälte, die uns in den Pelzen aber gar nicht so schlimm erschien.


Um 6 Uhr endlich Licht, Häuser, unser Kutscher verstand kein deutsch (ich fuhr mit Gertrud) aussteigen! Ist das Sulitjelma? O diese elenden Holzhütten? Pferdewechsel!


Nach lustiger Stärkung im Gastzimmer am Sherry des alten Herrn Smith aus Trondhjem, bestiegen wir die neuen Schlitten mit den neuen Pferden, die von der Hütte kamen und uns hier abholten. Gertrud und ich erhielten den besten Schlitten mit dem Leibkutscher des Herrn Knudsen, welcher englisch sprach und das beste Pferd „Stella“ am Schlitten hatte, welches einige Tage vorher das Brautpaar abgeholt hatte und auch am Hochzeitstage zusammen mit „Mira“ die Braut in der Staatsequipage zur Kirche fahren sollte. Also voran trotz Schnee und Eis über das steile Gebirge nach Sulitjelma, wir lustig und munter, die Norweger merkwürdig still. Es ging bergauf, Wege verschneit, nur Pfad. Unser Vorderschlitten wankte manchmal bedenklich und als wir uns darüber unterhielten, kippte unser Schlitten am steilen Abhang um, so daß ich im hohen Bogen über Gertrud nach unten in den Schnee flog und mich mit meinen Pelzen nicht mehr rühren konnte. Gertrud steckte mit den Beinen im Schlitten und hing mit dem Oberkörper im Schnee und heulte. Unter uns ein „reissendes“! Gebirgswasser.


Mit Hülfe der andern Kutscher kam unser Schlitten nun wieder hoch und weiter ging‘s mit „Stella“ und dem Leibkutscher!“. Eine 1⁄2 Stunde später kippte der Schlitten mit Frau Smith und Tante Warloe (beide 55-60 Jahre alt). An der gefährlichsten Stelle ca. 20 Minuten lang gingen die Norweger zu Fuß, während wir, die wir die Gefahr ja gar nicht kannten, im Schlitten blieben. Es war herrlich und unbeschreiblich schön, als wir in kalter, sternenheller Nacht im wilden Gebirge, ohne Weg endlich den letzten Bergabhang hinunterfuhren, links den hohen Berg, rechts die tiefe Schlucht mit dem Gebirgswasser und vor uns ein weites Schneefeld, der zugefrorene See, an welchem zu beiden Seiten die Gruben und Hütten liegen. Im flotten Trab ging’s 1⁄2 Stunde lang über Eis und kurz vor 10 Uhr Abends standen wir vor Knudsen‘s Haus, wo Leo und Gudrun uns draußen, die Familie drinnen begrüßten. 

Familie Knudsen, links Sigrid und Hans Dyck; dann William, Valdis, Vater Julius Emil, Gudrun, Emil und Mutter Maria

 10 Uhr Abendessen und feierliche Begrüßung, später Punsch, Grog ct., Schmollis-Trinken2 ctr. Herr Knudsen, ein geborener Däne3, aus alter Familie, stramme Gestalt eines echten, kernigen Nordländers, der die Gruben und Hütten, Häuser, Schule, Kirche, Eisenbahn und Schiffe ctr. geschaffen hat und mit Recht der „Kaiser von Sulitjelma“ genannt wird. „Frau Knudsen“, 4 seine liebe Frau, die ihm alle Wünsche an den Augen absieht und erfüllt, eine treue deutsche Hausfrau, geschaffen für das forsche Wesen des Mannes und für dessen Wohl und das der Familie bedacht.

Rührend war die Sorgfalt, mit welcher Frau Knudsen uns Gäste gepflegt hat, nie an sich selbst denkend, sondern immer nur an die Gastfreundschaft, die sie andern gegenüber ausüben zu müssen glaubt. Sigrid Knudsen, 23 Jahre alt, seit 4 Jahren Frau des Herrn Ingenieur Dyck5, Betriebsleiter der Kupferstätte, Sigrid ist eine schöne, blonde, große Frau, die ihren 3jährigen blondlockigen Buben (nachdem schon 3 gestorben sind6) ängstlich und über alles liebt. Valdis Knudsen, 19 Jahre alt, ist das Gegenstück von Sigrid, dunkelblond, etwas kränklich , etwas „Backfisch“lange Jahre von Hause weg (Herrenhut Christiania7). Wenn ihr in Christiania nach langer Krankheit wieder eingerenktes Bein ganz geheilt sein wird und sie einen Mann, wie ihre Phantasie ihn täglich träumt, bekommt, kann sie mal eine lustige „Frau Doctor“ resp. Hausfrau werden.


William und Emil Knudsen8 sind 2 stramme Knaben von 11 und 12 Jahren, die in Bodö zur Schule gehen und in Deutschland studieren sollen. – Nun zu dir, du 21jährige, du hellbraune Gudrun, mit dem schelmischen Gesichtsausdruck, der dich immer lachend und lustig, was du ja auch gerne bist, erscheinen läßt, der aber auch sehr vernünftig und ernst sein kann. Ich glaube, im Abitur wäre Gudrun durchgefallen, aber sie ist eine kluge Hausfrau und paßt ausgezeichnet zu Leo, weil sie auf seine Lustigkeit eingeht, für seinen Ernst mit Verstand und Klugheit gewappnet ist und als selbständige Frau in die Verhältnisse in Serbien einzieht, die sie in Norwegen gelernt und geliebt hat.


Freitag und Sonnabend waren 2 schöne Tage, an welchem wir im dolce far niente9 die Gruben, Hütten, Schule, Kirche, Krankenhaus, Werkstätten ctr. besuchten, auch per Schlitten über den See in cr. 20 Minuten Fahrt Frau Sigrid in Fagerlid10. Knudsen‘s Villa liegt in Furulund, daneben das Beamtencasino, in welchem Fremdenzimmer für Leo sowie für uns sich befanden.


Familie Knudsen ist sehr musikalisch. Er komponiert11, alle Mädchen singen prächtig, für meine unmusikalischen Ohren Valdis am besten. Samstag war musikalische Probe in der idyllisch oben am Berge gelegenen Kirche, nachdem vorher in seiner sehr einfachen Dienstwohnung der von auswärts gekommene Pfarrer in Gegenwart von Knudsen, Oberring, Anfindsen und mir die Papiere von Leo geprüft und alles richtig befunden hatte.

“Nun zu dir, du 21jährige, du hellbraune Gudrun, mit dem schelmischen Gesichtsausdruck, der dich immer lachend und lustig, was du ja auch gerne bist, erscheinen läßt, der aber auch sehr vernünftig und ernst sein kann.”

  1. Ein Überzieher ist ein Herrenmantel.
  2. Auf Brüderschaft trinken.
  3. Julius Emil Carl Wilhelm Knudsen (1856-1945)
  4. Maria Margarethe Rode, die 1856 in Freiberg/Sachsen geboren worden ist.
  5. Hans Karl Friedrich Dyck
  6. Die Zwillinge Hans und Emil starben nach der Geburt, von einem dritten Kind ist nichts bekannt.
  7. Bis 1902 gab es in Christiania eine eigenständige Herrnhuter Gemeinde, zu der sich viele deutschsprachige
    evangelische Immigranten hielten.
  8. Heinrich Christian William Knudsen (1891-1979) und Emil Knudsen (1892-1944).
  9. Italienisch: süßen Nichtstun.
  10. Ort in Norwegen.
  11. 1908 ist Emil Knudsen Dirigent des Orchesters von Sulitjelma.